erschienen in der Neuen Zürcher Zeitung vom 12. Februar 2025
Was ist von der Forderung zu halten, die Nationalbank solle Bitcoins erwerben? Letztlich versucht hier eine Lobby von Bitcoin-Haltern, ihre eigene spekulative Investition durch den Staat absichern zu lassen.
Gastkommentar von Paul Huber
Seit der Wahl der neuen amerikanischen Regierung fühlt sich die Krypto-Branche im Aufwind. Ihr wurde eine weniger restriktive Regulierung versprochen, und gemäss Trump soll der Staat selbst eine «strategische Reserve» an Bitcoins anlegen. Auch die Bitcoin-Anhänger in der Schweiz versuchen, den Schwung aus den USA zu nutzen, und lancierten im vergangenen Dezember die sogenannte «Bitcoin-Initiative», mit der die Schweizerische Nationalbank verpflichtet werden soll, einen Teil ihrer Währungsreserven in Gold und Bitcoins zu halten.
Nebelpetarden
Die Vorschläge, den Staat – direkt oder über seine Notenbank – zum Erwerb von Bitcoins zu verpflichten, muten reichlich paradox an, wurde der Bitcoin doch ursprünglich als Alternative zu den staatlichen Währungen angepriesen, denen man wegen der vom Staat verschuldeten Inflation nicht trauen könne. Und nun votieren dieselben Leute dafür, den Bitcoin im Herzen ebenjenes staatlichen Geldsystems zu platzieren, von dem man sich ursprünglich distanzieren und fernhalten wollte? Da muss man sich skeptisch fragen, was denn die Motive für dieses Umschwenken sind.
Der Staat als Käufer von Bitcoins wäre ein Marktteilnehmer von gewaltiger finanzieller Potenz, der den Kurs des Bitcoins nach oben triebe und wohl auch in der Lage wäre, ihn dort zu halten. Der Staat würde damit de facto zum «market maker of last resort» für den Bitcoin. Genau diese Hoffnung steht vermutlich auch hinter dem rasanten Anstieg des Bitcoin-Kurses nach der Wahl von Trump.
Es fällt auf, dass bedeutende Vertreter von Kryptowährungen wie Elon Musk die traditionellen Währungen immer wieder als überholtes «Papiergeld» schlechtreden. Auch in der Schweiz hoffen Vertreter der Bitcoin- und Blockchain-Szene, dass der Bitcoin einen Fluchtweg aus dem «Käfig des staatlichen Papiergeldsystems» eröffne. Man fragt sich, wie diese Menschen ihre Hotelrechnung bezahlen, wenn der Betrieb gerade keine Bitcoins zur Zahlung entgegennimmt. Wohl nicht mit Bündeln von Papiergeld, sondern eher mit einer Debit- oder Kreditkarte, mit einer Banküberweisung oder mit einer Zahlungsform wie Twint, Applepay, Paypal usw.
In allen diesen Fällen benutzen sie also ein Zahlungsinstrument, das letztlich auf ein Bankguthaben bezogen ist, von dem der Betrag abgebucht wird, und zwar durchgehend in elektronischer Form. In der Schweiz beträgt der Anteil des «Papiergelds», das heisst der von der Nationalbank herausgegebenen Banknoten und Münzen, nur etwas über 6 Prozent der gesamten Geldmenge. Papiergeld wird immer seltener benutzt, alle grösseren Zahlungen werden fast ausschliesslich elektronisch abgewickelt.
Wenn die Krypto-Anhänger die traditionellen Währungen als «Papiergeld» bezeichnen, so wollen sie damit insinuieren, dass diese keinen wirklichen Wert hätten. Ist dem wirklich so? Schweizer Private und Unternehmen halten ihre liquiden Mittel auf Bankkonten, über welche sie Zahlungen machen oder empfangen. Diese Kundeneinlagen sind auf der Passivseite der Bankbilanz als Schuld verbucht. Diesen Geldern stehen auf der Aktivseite der Bilanz die Kredite gegenüber, die von den Banken an Private und Unternehmen gewährt werden, welche damit Investitionen tätigen (Hypotheken, Unternehmenskredite usw.).
Diese Investitionen stellen reale Vermögenswerte dar. Zinsen und Tilgung finanzieren die Kreditnehmer aus ihrer produktiven Tätigkeit. Produktiv tätige private Haushalte und Unternehmen sind aber nichts anderes als die Schweizer Volkswirtschaft. Die Geldeinlagen auf der Passivseite sind somit auf der Aktivseite durch Leistungen der Schweizer Volkswirtschaft gedeckt. Zwar ist unbestritten, dass mit der Geldschöpfung durch die Banken Risiken verbunden sind, insbesondere wenn riskante Kredite ausserhalb der eigenen Volkswirtschaft vergeben werden. An diesen Risiken im Bankensystem würde sich aber nichts ändern, wenn die Nationalbank auch Bitcoins als Währungsreserve halten würde.
Auch das von der Notenbank ausgegebene «Papiergeld», die Banknoten und Münzen, sind nicht ohne inneren Wert. Sie sind in der Bilanz der Notenbank auf der Passivseite als Verbindlichkeit verbucht, denen auf der Aktivseite effektive Werte gegenüberstehen, inklusive auf Fremdwährungen lautende Wertpapiere. Und hinter der Notenbank steht als deren Eigentümer letztlich der Staat, der dank seiner Wirtschaftsleistung, kraft seiner Fähigkeit zur Erhebung von Steuern und kraft seiner im Prinzip unbegrenzten Lebensdauer eine überragende finanzielle Potenz und Bonität hat – wie nicht zuletzt die staatlichen Rettungsprogramme für gestrauchelte Banken belegen.
Hinter den traditionellen Währungen steht also im Kern die Volkswirtschaft des jeweiligen Landes. Der Wert der Währung ist denn auch direkt abhängig von der wirtschaftlichen Entwicklung eines Landes, was belegt wird durch die Bewegungen des Wechselkurses, sobald neue Daten zum Gang der Wirtschaft publiziert werden.
Wenn die Krypto-Befürworter die staatlichen Währungen abschätzig als «Papiergeld» bezeichnen, so sind dies nichts anderes als Nebelpetarden, mit denen sie davon ablenken wollen, dass hinter ihren eigenen sogenannten «Währungen» – anders als hinter den staatlichen Währungen – keinerlei volkswirtschaftlicher Nutzen steht. Beim Bitcoin steht auf der anderen Seite der Bilanz nichts, kein werthaltiges Aktivum, sondern einzig die spekulative Nachfrage weiterer Käufer.
Künstliche Verknappung
Nun wenden die Bitcoin-Befürworter ein, dass Bitcoin halt wie Gold sei, das ja ebenfalls keinen wirtschaftlichen Nutzen habe und dessen Preis einzig durch die Nachfrage nach Gold als Prestigematerial begründet sei. Womit sie übrigens implizit eingestehen, dass Bitcoin kein Geld ist, wie ursprünglich angezielt, sondern eine Anlageklasse wie eben Gold.
Wie Gold lassen sich die Bitcoins nicht beliebig vermehren, sondern es ist eine Limite definiert, über die hinaus keine Bitcoins mehr geschaffen werden. Diese künstliche Verknappung macht den Bitcoin ungeeignet als Geld, denn wie beim Gold lässt sich die Geldmenge damit nicht anpassen an die Entwicklung der Wirtschaft, was deflationär wirkt. Und wenn man diese Begrenzung wie beim Gold durch die Schaffung von Buchgeld im Bankensystem umgehen muss, dann stellt sich die Frage, wieso man denn mit dem Bitcoin nochmals dieselbe Übung machen soll, deren Grenzen schon beim Gold klarwurden.
Es stellt sich überhaupt die Frage, wieso wir einen virtuellen Doppelgänger von Gold brauchen, wenn wir doch schon das reale Gold haben. Gold ist ein materielles, greifbares Gut. Es ist ein Edelmetall, das heisst, es oxidiert nicht, es reagiert kaum mit der Umwelt, es ist schlichtweg unzerstörbar, und es kann auch nicht künstlich hergestellt werden (trotz allen Versuchen der Alchemisten). Wenn ich heute ein Goldgefäss finde, das vor zweitausend Jahren vergraben wurde, so ist das Gold unverändert greifbar. Wer will garantieren, dass unsere Nachfahren in zweitausend Jahren, ja auch schon in hundert Jahren noch immer Zugriff auf die Bitcoins ihrer Vorfahren haben werden? Ganz abgesehen davon, dass man seine Bitcoins mit dem Verlust des Zugangscodes für immer verliert.
Mit der Forderung, die Nationalbank sei zu zwingen, den Bitcoin als Bestandteil der Währungsreserven aufzunehmen, wollen die Initianten die Freiheit der SNB in der Wahl ihrer Anlagen beschränken. Eine wesentliche Anforderung an die Anlagen der SNB ist unter anderem die hohe Liquidität. Der Bitcoin erfüllt diese Anforderung nicht. Beschränken würde die Initiative auch die verfassungsmässig garantierte Unabhängigkeit der Nationalbank. Die Forderung der Initiative würde sicher eine Änderung des Nationalbankgesetzes erfordern. Aber widerspricht die Forderung der Initiative nicht eventuell anderen Bestimmungen der Verfassung?
Und wieso eigentlich die SNB nicht zum Erwerb von Kryptowährungen generell verpflichten, von denen es ja eine ganze Auswahl gibt? Wieso nur Bitcoin? Wieso nicht auch Ethereum? Oder Dogecoin, die von Elon Musk portierte Kryptowährung? Man könnte die Liste beliebig verlängern. Aber dann könnte man geradeso gut fragen: Wieso die SNB per Verfassung nicht zum Erwerb von irgendeiner spezifischen Aktie oder einem anderen Titel verpflichten, dessen Eigentümer wünschen, dass der Staat den Wert ihrer Investition stützt? Die Forderung nach Erwerb von Bitcoins durch die SNB ist nichts anderes als die Forderung seitens einer Lobby von Bitcoin-Haltern, die ihre spekulative Investition durch den Staat, und damit durch den Steuerzahler, absichern lassen wollen – eine Art Industriepolitik zu den eigenen Gunsten.