erschienen in der Neuen Zürcher Zeitung vom 13. September 2024
Der Verwaltungsrat der CS hat die Grossbank nicht vor dem Niedergang bewahrt und den Kapitalverlust der Aktionäre nicht verhindert. Der Fall CS zeigt, wie die Kontrolle der Aktionäre versagt.
Gastkommentar von Paul Huber
Die Einverleibung der CS in die UBS wurde Ende Mai 2024 vollzogen. Der Abbau der von der CS übernommenen Altlasten, rund 100 Milliarden an unerwünschten Vermögenswerten, geht zügig voran. Der Super-Tanker UBS ist in voller Fahrt. Ist er sicher vor allen Stürmen oder einer Havarie? Wird es nie mehr eine Rettungsaktion seitens des Schweizer Staates brauchen? Kann der Schweizer Steuerzahler ruhig schlafen? Wie die Geschichte zeigt, ist die Wahrscheinlichkeit einer zukünftigen Finanzkrise so sicher wie das Amen in der Kirche. Eine Bank muss dabei nicht einmal selbst die Ursache sein, sie kann auch betroffen werden von einer Krise, die anderswo ihren Ursprung hat.
Wenn eine Bank in Schieflage gerät
Die Bilanz der neuen UBS ist mit rund 1,6 Billionen Franken rund doppelt so gross wie das Bruttoinlandprodukt der Schweiz. Kommt dieser Tanker ins Schlenkern, könnte eine staatliche Rettungsaktion teuer werden. Einige Stimmen sagen zwar, der Bund habe ja bei den bisherigen Rettungsaktionen sein Geld stets wieder zurückerhalten, nach der Rettung der UBS in der Finanzkrise ebenso wie bei der Rettung der CS.
Jedoch nicht jede staatliche Bankenrettung stellt sich im Nachhinein als Gewinn für die Staatskasse heraus, ganz abgesehen davon, dass die Risiken, die ein Staat dabei eingehen muss, unverhältnismässig hoch sind. Viele Staaten mussten in der globalen Finanzkrise von 2007/08 hohe Verluste in Kauf nehmen und wurden fast in den Ruin getrieben. In Irland etwa brach in der Finanzkrise und der nachfolgenden Rezession die Wirtschaft um 13 Prozent ein, die Arbeitslosigkeit stieg von rund 5 Prozent im Jahr 2007 auf über 16 Prozent im Jahr 2011. Und die Kosten für den Bail-out der Banken und der Einbruch der Steuereinnahmen bewirkten ein riesiges Staatsdefizit, was zusammen mit der verkündeten staatlichen Garantie aller Bankeinlagen das Vertrauen in die Zahlungsfähigkeit des Staates einbrechen liess. Ein Staatsbankrott Irlands konnte nur verhindert werden durch ein Unterstützungspaket von IWF, EU und EZB, wofür die Regierung ein Austeritäts-Programm umsetzen musste, dessen Umfang sich zwischen 2008 und 2015 auf rund ein Fünftel des BIP belief, wovon rund ein Drittel durch Steuererhöhungen und zwei Drittel durch Ausgabenreduktionen erzielt wurden.
Gerät eine Bank in Schieflage, so gehen die Verluste zuerst zulasten der haftenden Eigenmittel. Man sollte also erwarten, dass die Aktionäre, vertreten durch den Verwaltungsrat (VR), die Bank streng kontrollieren und rechtzeitig durchgreifen, wenn das Unternehmen schlecht unterwegs ist und den Aktionären der Verlust ihres Kapitals droht. Kann sich der Steuerzahler aber wirklich auf diesen Schutz durch die Aktionäre verlassen, sozusagen als «first line of defense»? Die Frage muss angesichts des Debakels bei der CS leider verneint werden. Die CS-Aktionäre erlebten, wie ihre Aktien beinahe wertlos wurden, ohne dass der von ihnen beauftragte Verwaltungsrat die Katastrophe verhinderte. Darüber hinaus floss in den letzten dreizehn Jahren des Bestehens der CS mehr Geld an die Boni-Bezüger als an die Aktionäre, nämlich kumuliert 39 Milliarden Franken an Boni (zusätzlich zum Basisgehalt), während im gleichen Zeitraum nur 9 Milliarden als Gewinnausschüttung an die Aktionäre gingen.
Die CS ist damit ein eklatantes Beispiel für das Versagen der Aktionärskontrolle und für das Principal-Agent-Problem: Die Manager (Agents) wissen mehr über das Unternehmen als die Eigentümer (Principals) und nutzen dieses Wissen zu ihren eigenen Gunsten, und die Manager sind geneigt, zu ihrem eigenen Nutzen grössere Risiken einzugehen, als dies jemand tun würde, der sein eigenes Geld riskiert. Wenn die Risikowetten der Manager nicht aufgehen, dann verlieren sie nicht das eigene Geld, sondern setzen das Geld anderer in den Sand.
Verstärkt wird das Principal-Agent-Problem noch dadurch, weil auch die bestimmenden Grossaktionäre, die im VR vertretenen institutionellen Investoren, nicht wirkliche Eigentümer waren, sondern selbst wiederum Agents sind, die fremdes Geld verwalten. Vermutlich waren die meisten Leserinnen und Leser dieser Zeilen Aktionäre der CS, nämlich über ihre Pensionskasse, deren Aktienanteil Schweiz sicher auch CS-Aktien enthielt.
Aber auch die Pensionskasse hielt diese nicht unbedingt direkt, sondern hatte ihrerseits wiederum einen institutionellen Vermögensverwalter mit der Investition ihrer Gelder beauftragt oder diese über einen Aktienfonds investiert. Ob diese ihr Stimmrecht aktiv wahrnahmen, ist offen, aber wenn, dann wohl in den meisten Fällen im Sinne der Anträge des VR.
Delegation der Verantwortung
Die im VR der CS vertretenen institutionellen Investoren waren also keine Eigentümer (Principals), sondern Agents, vielleicht sogar Agents, die von wiederum anderen Agents beauftragt waren, wobei in der Kette der Verantwortungsdelegation die Interessen der Principals leicht auf der Strecke bleiben können. Ein grosser institutioneller Investor, der in alle Aktien des Aktienuniversums investiert sein muss, wird nicht am Erfolg einer einzelnen Aktie gemessen, denn solange er den Gesamtmarkt-Index abbildet, hat er seinen Auftrag erfüllt, ob der Index nun steigt oder sinkt.
Und wie die Manager verliert auch er dabei kein eigenes Geld. Bei der CS haben die im VR sitzenden Aktionärsvertreter den Niedergang jedenfalls nicht aufgehalten, sie haben die Reissleine nicht gezogen. Der Versuch des «aktivistischen» Grossaktionärs Harris Associates im Jahr 2020, den damaligen VR-Präsidenten auszubooten, misslang aufgrund der Unterstützung für Letzteren durch die anderen VR-Mitglieder. Die bei der CS gegebene Konstellation – ein eigentliches Principal-Agent-Agent-Agent-Problem – ist aber kein Einzelfall, sondern typisch für alle börsenkotierten Grossfirmen, auch für die UBS.
Das Beispiel der CS belegt, dass man nicht auf den disziplinierenden Einfluss der Aktionäre zählen kann, wenn es um die gute Führung einer Bank geht. Das Vertrauen in die neue UBS muss sich damit vor allem auf die aktuellen Amtsinhaber in Geschäftsleitung und VR stützen – diese aber werden ihren Posten nicht ewig innehaben. Die Schwäche der Aktionärskontrolle ist ein strukturelles Problem, das nicht davor schützt, dass als Nachfolger schwächere Personen zum Zuge kommen. Folglich müssen andere Schutzmassnahmen den Steuerzahler schützen und helfen, das «Too big to fail»-Risiko einzugrenzen.