Bank­rott — Stürz­te 1789 ein Staats­bank­rott Frank­reichs Monarchie?


Erschie­nen in NZZ Geschich­te, Num­mer 43, Dezem­ber 2022 

1789 ging das fran­zö­si­sche König­reich unter. Ein ent­schei­den­der Trei­ber der Revo­lu­ti­on war das Staats­de­fi­zit – und die Unfä­hig­keit des Königs, das Steu­er­we­sen zu reformieren.

Von Paul Huber

Am Vor­mit­tag des 21. Janu­ar 1793 wur­de der fran­zö­si­sche König Lou­is XVI in Paris auf dem Platz vor den Tui­le­rien, der heu­ti­gen Place de la Con­cor­de, aufs Scha­fott geführt und unter der Guil­lo­ti­ne hin­ge­rich­tet. In den Wochen davor mag er sich manch­mal gefragt haben, wann die Ereig­nis­se jene fata­le Ent­wick­lung genom­men hat­ten, die zu dem Ende führ­te, das ihm nun bevor­stand. Ent­schei­dend war zwei­fel­los die Ein­berufung der Gene­ral­stän­de gewe­sen, die er ver­fügt hat­te. Am 5. Mai 1789 waren sie zusam­men­ge­kom­men, und am 19. Juni hat­ten sie sich zur Natio­nal­ver­samm­lung erklärt – zur ein­zig legi­ti­men Reprä­sen­tan­tin des Vol­kes. Es war de fac­to ein Staats­streich. Er stürz­te das Anci­en Régime, in dem alle Gewalt vom König als Sou­ve­rän aus­ge­gan­gen war.

Zwar ver­such­ten der König und sei­ne Minis­ter in den Mona­ten danach, das Heft wie­der in die Hand zu neh­men und ihre Macht zu sichern. Sie mach­ten poli­ti­sche Kon­zes­sio­nen und mobi­li­sier­ten die Trup­pen, aller­dings erfolg­los. Durch das Todes­ur­teil vom 17. Janu­ar 1793 wur­de die Macht­fra­ge defi­ni­tiv ent­schie­den. Aus­ge­spro­chen hat­te es der Natio­nal­kon­vent, der im Sep­tem­ber 1792 die Natio­nal­ver­samm­lung als gesetz­ge­ben­de Insti­tu­ti­on abge­löst hat­te. Das erb­li­che Got­tes­gna­den­tum war damit abge­schafft, auch die Idee einer kon­sti­tu­tio­nel­len oder par­la­men­ta­ri­schen Mon­ar­chie war vom Tisch. Frank­reich war eine Repu­blik gewor­den. Die exe­ku­ti­ve Gewalt ging an die vom Natio­nal­kon­vent bestimm­ten Orga­ne über.

Im Grun­de war der König aber schon vor 1789 geschei­tert, denn trotz sei­ner Macht­fül­le war es ihm nicht gelun­gen, eine Lösung zu fin­den für das drän­gends­te Pro­blem sei­nes Reichs: die Staats­ver­schul­dung. Im August 1788 hat­te das König­reich sei­ne Zah­lun­gen ein­stel­len müs­sen. Da es nir­gend­wo mehr neue Kre­di­te auf­trei­ben konn­te, muss­te der König, sosehr ihm das auch wider­streb­te, die Gene­ral­stän­de ein­be­ru­fen, denn gemäss Rechts­ge­lehr­ten wie auch der öffent­li­chen Mei­nung waren nur sie legi­ti­miert, lan­des­wei­te neue Steu­ern zu bewil­li­gen. Sie waren die ein­zi­ge Insti­tu­ti­on, in der alle drei Stän­de – der Kle­rus, der Adel und die als «Drit­ter Stand» bezeich­ne­te übri­ge Bevöl­ke­rung – ver­treten waren, die also zumin­dest im Ansatz die Gesamt­be­völ­ke­rung reprä­sen­tier­te (wobei für den Drit­ten Stand nur rei­che städ­ti­sche Bür­ger dele­giert wur­den). Sämt­li­che ande­ren staatli­chen Insti­tu­tio­nen waren in kei­ner Wei­se re­präsen­tativ. Sie unter­stan­den ent­we­der direkt dem König oder waren von Per­so­nen kon­trol­liert, die ihr Amt gekauft hat­ten und es auch ver­er­ben konnten.

Es war ein radi­ka­ler, his­to­ri­scher Akt: Zum letz­ten Mal waren die Gene­ral­stän­de 1614 zusam­men­ge­tre­ten. Mit ihrer Ein­be­ru­fung allein wäre es viel­leicht noch nicht zur Revo­lu­ti­on ­gekom­men, aber das Jahr 1788 war gleich­zei­tig ­geprägt von kata­stro­pha­len Wit­te­rungs­ver­hält­nis­sen und Miss­ern­ten. Die Nah­rungs­mit­tel­prei­se explo­dier­ten, und der ver­brei­te­te Hun­ger führ­te lan­des­weit zu Revol­ten und Unru­hen. Sie stei­ger­ten sich, als die Vor­rä­te lang­sam zur Nei­ge gin­gen, wäh­rend die Ern­te des Jah­res 1789 noch in wei­ter Fer­ne lag – just in den Mona­ten, in denen die Ver­samm­lung der Gene­ral­stän­de vor­be­rei­tet wur­de und die Dele­gier­ten gewählt wur­den, die am 5. Mai 1789 schliess­lich erst­mals zusammentraten.

In der Ver­gan­gen­heit waren Revol­ten jeweils mili­tä­risch nie­der­ge­schla­gen wor­den. Dies­mal jedoch war durch die Ein­be­ru­fung der Gene­ral­stän­de die Macht­fra­ge auch auf insti­tu­tio­nel­ler Ebe­ne gestellt – und es stand eine Insti­tu­ti­on bereit, die imstan­de war, das Land in eine neue Staats­ord­nung zu über­füh­ren. Die Not und die Unzu­frie­den­heit der Bevöl­ke­rung lie­fer­ten sozu­sa­gen den Brand­be­schleu­ni­ger, der die Re­vo­lu­tion ermög­lich­te. In der popu­lä­ren Geschichts­schreibung wur­de die­ser Brandbe­schleuniger spä­ter über­höht, der Volks­auf­stand nimmt dort die domi­nie­ren­de Rol­le ein. Weni­ger bekannt sind die poli­ti­schen und öko­no­mi­schen Umstän­de, die dazu führ­ten, dass die Insti­tu­tio­nen des Anci­en Régime gestürzt und in der Revo­lu­ti­on durch neue ersetzt wur­den. Ein ent­schei­den­der Trei­ber war die Staats­ver­schul­dung – ­bezie­hungs­wei­se die Unfä­hig­keit des absolu­tistischen König­reichs, Refor­men um­zusetzen, die die Staats­fi­nan­zen auf eine soli­de Basis gestellt hätten.

Dabei war nicht die Höhe der Staats­schuld das Haupt­pro­blem, auch nicht die abso­lu­te Höhe der Steu­ern. Das zeigt ein Ver­gleich mit Gross­bri­tan­ni­en. His­to­ri­ker haben berech­net, dass die Schul­den­quo­te, also das Ver­hält­nis zwi­schen den Staats­schul­den und dem Brutto­inland­pro­dukt, in Frank­reich im Jahr 1788 bei unge­fähr 55 Pro­zent lag, in Gross­bri­tan­ni­en dage­gen bei 182 Pro­zent. Auch tru­gen die Steu­er­zah­ler in Gross­bri­tan­ni­en eine fast dop­pelt so hohe Steu­erlast im Ver­hält­nis zum Brut­to­in­land­pro­dukt wie in Frank­reich. Dank sei­ner bes­se­ren Kredit­würdig­keit genoss Gross­bri­tan­ni­en aber viel vor­teil­haf­te­re Finan­zie­rungs­kon­di­tio­nen, es zahl­te rund halb so hohe Zins­sät­ze. Der Schul­den­dienst ver­schlang in Frank­reich denn auch einen ungleich grös­se­ren Anteil der Steu­er­erträ­ge als in Grossbritannien.

Trotz sei­nem mas­siv höhe­ren Ver­schul­dungs­grad schlit­ter­te Gross­bri­tan­ni­en nie in eine Schul­den­kri­se – nicht ein­mal durch sei­nen ver­lo­re­nen Krieg gegen die abtrün­ni­gen Kolo­nien in Nord­ame­ri­ka. Das Empi­re blieb stets sol­vent. Grund dafür waren die im Ver­gleich zu Frank­reich brei­te­re Steu­er­ba­sis, das Ver­trau­en der Bevöl­ke­rung in die Regie­rung, soli­de Insti­tu­tio­nen und eine sta­bi­le Wäh­rung. Das Ver­trau­en der Kre­dit­ge­ber und die somit güns­ti­ge­ren Zin­sen waren nicht zuletzt auch ein Resul­tat der Trans­pa­renz: Der Staats­haus­halt des bri­ti­schen Empi­re war im Detail öffent­lich bekannt und unter­lag der Kon­trol­le des Parlaments.

In Frank­reich war das nicht der Fall. Hier wur­den die Finan­zen von Leu­ten ver­wal­tet, die ihr Amt gekauft hat­ten; Trans­pa­renz- und Kon­troll­me­cha­nis­men fehl­ten völ­lig. Dabei wäre das Land drin­gend auf eine güns­ti­ge Schul­den­fi­nan­zie­rung ange­wie­sen gewesen.

Der Haupt­grund für die anhal­ten­den Defi­zi­te des König­reichs waren Krie­ge – unter Lou­is XIV vor allem der Spa­ni­sche Erb­fol­ge­krieg (1701–1714), unter Lou­is XV der Sie­ben­jäh­ri­ge Krieg (1756–1763), unter Lou­is XVI der Ame­ri­ka­ni­sche Unab­hän­gig­keits­krieg (1775–1783). Die Defi­zi­te bewirk­ten einen ste­ten Druck, die Steu­ern und Abga­ben zu erhö­hen. Zur Ent­schul­dung waren aber wie­der­holt auch Zah­lungs­aus­fäl­le und Schul­den­schnit­te ange­wandt wor­den, zuletzt beim par­ti­el­len Staats­bank­rott unter Lou­is XV und sei­nem Finanz­mi­nis­ter Abbé Ter­ray um 1770. Bei einem Schul­den­schnitt wird der geschul­de­te Betrag gekürzt, der Gläu­bi­ger ver­liert dadurch einen Teil sei­ner Forderung.

Um die Gläu­bi­ger nach ihren leid­vol­len Erfah­run­gen der Ver­gan­gen­heit zu beru­hi­gen und zu wei­te­ren Kre­di­ten zu bewe­gen, gab Lou­is XVI bei sei­ner Thron­be­stei­gung 1774 das Ver­spre­chen ab, dass es unter ihm kei­nen Schul­den­schnitt mehr geben wer­de – ein Wort, das er hal­ten soll­te. Weil Frank­reich aber ab 1778 die Ame­ri­ka­ner in ihrem Unab­hän­gig­keits­krieg gegen Gross­bri­tan­ni­en unter­stütz­te, stieg die Staats­schuld in den fol­gen­den Jah­ren mas­siv; die Kos­ten der Unter­stüt­zung wer­den auf rund eine Mil­li­ar­de Liv­res geschätzt. Lou­is XVI hat­te gehofft, damit sei­nen Feind Gross­bri­tan­ni­en zu schwä­chen. Geschwächt wur­de jedoch das fran­zö­si­sche König­reich selbst, des­sen Finan­zen nun völ­lig aus dem Lot gerieten.

Aus­rei­chen­de Steu­er­erhö­hun­gen zur Finan­zie­rung der Aus­ga­ben waren nicht durch­setz­bar, und so war das König­reich wei­ter­hin auf Kre­di­te ange­wie­sen, auch aus dem Aus­land. Nach Schät­zun­gen wur­den zwan­zig bis vier­zig Pro­zent der Anlei­hen, die in den 1780er Jah­ren vom fran­zö­si­schen König­reich auf­ge­nom­men wur­den, über Genf und Ams­ter­dam an aus­län­di­sche Inves­to­ren verkauft.

Dass das Pro­blem der Staats­fi­nan­zen gelöst wer­den muss­te, war auch auf höchs­ter Staats­ebe­ne klar: Ohne aus­rei­chen­de Mit­tel konn­te das König­reich sei­ne Auf­ga­ben im Innern nicht mehr erfül­len und sei­ne Posi­ti­on gegen­über den ande­ren Mäch­ten nicht mehr behaup­ten. Bereits lan­ge vor der Revo­lu­ti­on hat­te es Ver­su­che gege­ben, das Sys­tem zu refor­mie­ren. Sie waren unter­schied­lich ambi­ti­ös gewe­sen. Einen nam­haf­ten Ver­such hat­te Anne Robert Jac­ques ­Tur­got gestar­tet, der von August 1774 bis Mai 1776 Finanz­mi­nis­ter war; er blieb aller­dings ohne Erfolg. Den nächs­ten gros­sen Anlauf nahm Jac­ques Necker, den Lou­is XVI im Okto­ber 1776 zum Finanz­mi­nis­ter ernannte.

Der Gen­fer Ban­kier Necker war ein Expo­nent der «ban­que pro­tes­tan­te», die der His­to­ri­ker Her­bert Lüt­hy ein­ge­hend beschrie­ben hat – eines Netz­werks, das mass­geb­lich geprägt war von ins Aus­land geflüch­te­ten fran­zö­si­schen Huge­not­ten (cal­vi­nis­ti­schen Pro­tes­tan­ten) und ihren Kon­tak­ten in der alten Hei­mat. Das Edikt von Nan­tes, 1598 von König Hen­ri IV erlas­sen, hat­te den Huge­not­ten im katho­li­schen Frank­reich die Reli­gi­ons­frei­heit und die vol­len Bür­ger­rech­te garan­tiert; die Auf­he­bung des Edikts im Jahr 1685 hat­te zu einem Mas­sen­exo­dus geführt. Damals hat­ten zahl­rei­che Huge­not­ten im cal­vi­nis­ti­schen Genf und in den ande­ren pro­tes­tan­ti­schen Gebie­ten der Schweiz Zuflucht gefun­den. Huge­not­ti­sche Vor­fah­ren hat­te auch Jac­ques Neckers Frau Suzan­ne ­Curch­od, die als Pfar­rers­toch­ter in einem Dorf im Schwei­zer Jura auf­gewachsen war (wäh­rend Neckers eige­ne Vor­fah­ren aus dem pro­tes­tan­ti­schen Bran­den­burg stammten).

Dass aus­ge­rech­net ein Gen­fer Pro­tes­tant zum Minis­ter eines Königs wur­de, des­sen Vor­fahr Lou­is XIV die Huge­not­ten 1685 aus Frank­reich ver­trie­ben hat­te, zeugt von der gros­sen Abhän­gig­keit des König­tums von den Finanz­märk­ten. Mit Necker wur­de zudem erst­mals in der Geschich­te ein Nichtad­li­ger zum Minis­ter eines fran­zö­si­schen Königs; Pro­tes­tan­ten war der Erwerb eines Adels­ti­tels verwehrt.

Necker orga­ni­sier­te dem König­reich neue Kre­di­te. Und er ziel­te auf eine umfas­sen­de Reform der öffent­li­chen Finan­zen: Die käuf­li­chen Ämter der Steu­er­päch­ter und Steu­er­ein­neh­mer soll­ten weit­ge­hend abge­schafft und durch staat­li­che Stel­len mit Beam­ten ersetzt wer­den, die ihm direkt unter­stan­den. Die von sei­nen Re­form­pro­jek­ten bedroh­ten Krei­se nutz­ten indes­sen ihren Ein­fluss am Hof und beschwer­ten sich beim König. Wegen sei­ner Her­kunft und sei­ner Kon­fes­si­on hat­te Necker von Beginn an vie­le Fein­de, selbst inner­halb des Königs­hau­ses. Die Druck­ver­su­che waren erfolg­reich: 1781 wur­de er vom König abge­setzt, und die von ihm ange­stos­se­nen Refor­men wur­den in ihrem Kern zurück­ge­nom­men. Die Erin­ne­rung an Necker aber blieb, auch in der Öffent­lich­keit, und er soll­te spä­ter noch­mals auf die poli­ti­sche Büh­ne kommen.

Nach zwei wei­te­ren erfolg­lo­sen Minis­tern über­nahm im Novem­ber 1783 der Jurist Charles Alex­and­re de Calon­ne das Amt des Finanz­mi­nis­ters. Drei Jah­re spä­ter, im August 1786, leg­te er König Lou­is XVI ein Memo­ran­dum vor, in dem er die dra­ma­ti­sche Finanz­la­ge des König­reichs dar­leg­te und dring­lich zu ergrei­fen­de Mass­nah­men vor­schlug. Gros­se Volu­men an Staats­an­lei­hen wur­den in den fol­gen­den Jah­ren zur Rück­zah­lung fäl­lig. Nach Calon­nes Berech­nung belief sich das Defi­zit auf 100 Mil­lio­nen Liv­res tour­nois, bei Ein­nah­men von 475 Mil­lio­nen Liv­res (zum Ver­gleich: Ein Tag­löh­ner ver­dien­te damals eine Liv­re pro Tag). Sei­ne Anga­ben waren eine Schät­zung und nicht die letz­te, denn genaue Zah­len über die Ein­nah­men und Aus­ga­ben des König­reichs kann­te weder er noch sonst jemand, da der Staat kei­ne zen­tra­le Buch­hal­tung besass.

Wie die lau­fen­den Ein­nah­men und Aus­ga­ben wur­de auch die Gesamt­ver­schul­dung des König­reichs nicht zen­tral erfasst. His­to­ri­ker haben spä­ter jedoch ver­sucht, sie zu schät­zen. Dem­nach belie­fen sich die Schul­den im Revo­lu­ti­ons­jahr 1789 auf etwas mehr als 4,8 Mil­li­ar­den Liv­res tour­nois, davon 3,8 Mil­li­ar­den lang­fris­ti­ge Schul­den, die nicht inner­halb eines Jah­res zurück­ge­zahlt wer­den muss­ten. Ein Gross­teil davon waren Ren­ten. Ren­ten sicher­ten dem Anle­ger oder der Anle­ge­rin über die gan­ze Lauf­zeit der Anlei­he einen fes­ten Betrag pro Jahr, wobei es – anders als bei Obli­ga­tio­nen – kein Ver­falls­da­tum gab, an dem das Kapi­tal zurück­be­zahlt wur­de. Ewi­ge Ren­ten waren zeit­lich unbe­grenzt, Leib­ren­ten ende­ten mit dem Tod des Renten­nehmers. Leib­ren­ten mach­ten 1789 rund ein Drit­tel der lang­fris­ti­gen Staats­schul­den aus, wobei ihr Anteil vor allem in den ver­gan­ge­nen zehn bis fünf­zehn Jah­ren ange­wach­sen war.

Ren­ten, ins­be­son­de­re Leib­ren­ten, waren in den 1780er Jah­ren eine belieb­te Anla­ge­form gewor­den. Sie waren eine Art Alters­vor­sor­ge, und zwar nicht nur für die Rei­chen. Nach Aus­sa­ge des Juris­ten Jac­ques-Pierre Brissot, eines Revolu­tionärs, der spä­ter Wort­füh­rer der gemäs­sig­ten Giron­dis­ten wur­de und 1793 unter der Guil­lo­ti­ne starb, waren die ren­tiers «in allen Schich­ten des Lan­des zu fin­den». Weil die öffent­li­chen Schul­den­ti­tel stark gestü­ckelt und leicht zu han­deln waren, zir­ku­lier­ten sie unun­ter­bro­chen: «von den Porte­feuilles der Rei­chen in die Werk­statt des Hand­wer­kers und sogar in die Hän­de der Domes­ti­ken», die alle den «Ruhe­stand für ihre alten Tage» vor­bereiteten, indem sie sol­che Schul­den­ti­tel kauften.

Die His­to­ri­ke­rin Marie-Lau­re Legay schätz­te auf­grund von Zeit­do­ku­men­ten, dass es am Vor­abend der Revo­lu­ti­on rund 200’000 Ren­ten­neh­mer gab. Zählt man die von ihnen abhän­gi­gen Per­so­nen dazu, kommt man auf ein Viel­fa­ches an Begüns­tig­ten. Sie alle waren sehr direkt inter­es­siert am Schick­sal der Staats­schuld – was sich auch zur Zeit der Revo­lu­ti­on zei­gen soll­te, als es um die Aner­ken­nung der Staats­schul­den aus der Zeit des Anci­en Régime ging.

Trotz dem gros­sen öffent­li­chen Inter­es­se schei­ter­ten alle Ansät­ze zu Refor­men, weil sie an die Gesell­schafts­ord­nung des König­reichs rühr­ten. Jene Grup­pen, die bei einer gerech­te­ren Besteue­rung auf eini­ge ihrer Pri­vi­le­gi­en hät­ten ver­zich­ten müs­sen, leis­te­ten Wider­stand. Auch der König selbst war nie bereit, für Refor­men auf sei­ne abso­lu­tis­ti­schen Vor­rech­te zu ver­zich­ten. Die Pro­ble­me mit der Staats­schuld grün­de­ten also in struk­tu­rel­len Pro­ble­men des Anci­en Régime – sie waren ein Resul­tat der uns heu­te in vie­len Belan­gen frem­den Regie­rungs­form des Absolutismus.

Der «König von Got­tes Gna­den» ver­ein­te im dama­li­gen Frank­reich im Prin­zip alle Macht in sich: die exe­ku­ti­ve, die legis­la­ti­ve und die judi­ka­ti­ve Gewalt. Es gab kei­ne Gewal­ten­tei­lung. Wo der König sei­ne Macht an eine Per­son oder Insti­tu­ti­on dele­giert hat­te, ver­blieb ihm die Prä­ro­ga­ti­ve, das heisst das Vor­recht, deren Ent­schei­de zu kas­sie­ren, zu kor­ri­gie­ren oder die Dele­ga­ti­on zu wider­ru­fen. Selbst höchs­te Beam­te und Minis­ter konn­te der König abset­zen, ohne dies gegen­über irgend­ei­ner Insti­tu­ti­on legi­ti­mie­ren zu müs­sen. Das hiess auch, dass poli­ti­sche Zie­le nur über den König erreicht wer­den konn­ten. Folg­lich bestand ein dau­ern­der Kampf um Ein­fluss am Hof – das wie­der­um war ein idea­les Umfeld für Intrigen.

Natür­lich war die abso­lu­tis­ti­sche Macht und Hand­lungs­frei­heit des Königs in Wirk­lich­keit viel­fach ein­ge­grenzt, da er die Inter­es­sen ver­schie­de­ner gesell­schaft­li­cher Grup­pen berück­sich­ti­gen muss­te, zuvor­derst jene des rei­chen Adels, auf den sich die Mon­ar­chie nebst der Kir­che stütz­te. Lou­is XIV hat­te die Macht des Hoch­adels zwar beschnit­ten, ihn aber gleich­zei­tig mit Pri­vi­le­gi­en an die Kro­ne gebun­den. Fak­tisch waren die obers­ten Kir­chen­äm­ter sowie die obers­ten Rän­ge in Mari­ne und Armee für Ver­tre­ter des Hoch­adels reser­viert, eben­so der Ein­sitz in eini­ge der wich­ti­gen könig­li­chen Räte. Die Hand­lungs­frei­heit des Königs war zudem ein­ge­grenzt durch tra­di­tio­nel­le Insti­tu­tio­nen und Rech­te, auf die man sich beru­fen konn­te. Dazu gehör­ten etwa loka­le und regio­na­le Stän­de­ver­samm­lun­gen oder gewis­se Stadtbehörden.

Lou­is XIV hat­te den Abso­lu­tis­mus gestärkt, indem er sol­che Insti­tu­tio­nen ent­mün­digt oder zumin­dest ihre Macht beschnit­ten hat­te. Er hat­te sie jedoch nicht for­mell auf­ge­löst, und sie waren nicht im gan­zen König­reich glei­cher­mas­sen eli­mi­niert oder ent­mach­tet wor­den. Ein wesent­li­cher Unter­schied bestand zwi­schen den pays d’états – den Pro­vin­zen, die noch eine eige­ne Stän­de­ver­samm­lung hat­ten – und den pays d’élection – den Pro­vin­zen, in denen deren Kom­pe­ten­zen an Amts­trä­ger des Königs über­ge­gan­gen waren. Zu den pays d’élection gehör­ten die alten Kern­pro­vin­zen des König­reichs (bei­spiels­wei­se die Île de Fran­ce um Paris oder die Nor­man­die); pays d’états waren Pro­vin­zen, die etwas spä­ter zum König­reich gestos­sen waren und einen Teil ihrer alten Rech­te hat­ten bewah­ren kön­nen (so wie die Bre­ta­gne oder das Langue­doc). Deren Stän­de­ver­samm­lun­gen, in denen Adel, Kle­rus und Drit­ter Stand ver­tre­ten waren, leg­ten ins­be­son­de­re die könig­li­chen Steu­ern der Regi­on fest.

In den pays d’états, die steu­er­lich auto­no­mer ver­wal­tet waren, war die Steu­er­be­las­tung deut­lich gerin­ger als in den pays d’élection. Finanz­mi­nis­ter Jac­ques Necker berech­ne­te für die Bre­ta­gne eine jähr­li­che Steu­er­last von 12 Liv­res pro Ein­woh­ner, für die Nor­man­die dage­gen, ein pays d’élection, 29 Liv­res pro Ein­woh­ner. Die Steu­er­last war aber nicht nur ter­ri­to­ri­al, son­dern vor allem auch sozi­al unge­recht ver­teilt. Sie las­te­te viel stär­ker auf den ärme­ren Bevöl­ke­rungs­schich­ten, wäh­rend Adel und Kle­rus von vie­len Steu­er­be­frei­un­gen pro­fi­tier­ten. Der Kle­rus, dem rund zehn Pro­zent des Bodens gehör­te, trug weni­ger als zwei Pro­zent zum Steu­er­auf­kom­men des König­reichs bei. Auch der Adel pro­fi­tier­te von zahl­rei­chen Pri­vi­le­gi­en und Steu­er­be­frei­un­gen, und er hat­te exklu­si­ven Zugang zu den lukra­tivs­ten Funk­tio­nen in Staat und Kir­che. Die­se Ungleich­hei­ten wur­den immer mehr als Unge­rech­tig­keit empfunden.

Dass kein Gefühl von Gerech­tig­keit und Trans­pa­renz auf­kam, hat­te auch damit zu tun, wie die Steu­ern erho­ben wur­den. Wer sich mit der Orga­ni­sa­ti­on der Steu­er­erhe­bung im Anci­en Régime ver­traut zu machen ver­sucht, begeg­net einer Welt von gros­ser Unüber­sicht­lich­keit. Der Gross­teil der Steu­ern wur­de nicht von Beam­ten erho­ben, die dem König direkt unter­stan­den, son­dern von Steu­er­päch­tern oder Steu­er­ein­neh­mern, die ihr Amt gekauft hat­ten. Der Erwerb eines sol­chen Amts war Adli­gen vor­be­hal­ten bezie­hungs­wei­se mit einer Erhe­bung in den Adels­stand ver­bun­den; man spricht vom Amts­adel (nobles­se de robe), im Gegen­satz zum Schwert­adel (nobles­se d’épée) aus der frü­hen Feu­dal­zeit. Das Amt war grund­sätz­lich ver­erb­bar, auch wenn es nach einer gewis­sen Anzahl von Jah­ren erneu­ert wer­den musste.

Die Amts­trä­ger ver­pflich­te­ten sich, in ihrem Gebiet pro Jahr eine bestimm­te Steu­er­sum­me zu erhe­ben und – nach Abzug eines ihnen zuste­hen­den pro­zen­tua­len Ent­gelts – dem Hof zur Ver­fü­gung zu stel­len. Sie waren aber frei, die ­gesam­mel­ten Gel­der vor dem «Lie­fer­ter­min» ander­wei­tig ein­zu­set­zen und so zusätz­lich zu ihren Amts­be­zü­gen Geld zu ver­die­nen. Die für den König gesam­mel­ten Sum­men gin­gen nicht etwa in eine zen­tra­le Kas­se, aus der die Aus­ga­ben begli­chen wor­den wären: Um Staats­aus­ga­ben zu täti­gen, wur­den von den Kas­sen der Steu­er­päch­ter Anwei­sun­gen an die Kas­sen der aus­ge­ben­den Stel­len erteilt, die eben­falls dezen­tral und in der Hand halb­priva­ter Unter­neh­mer waren. Es gab kei­ne zen­tra­le Tre­so­re­rie – und somit auch kei­nen Über­blick über die getä­tig­ten Transaktionen.

Die Steu­er­päch­ter und Steu­er­ein­neh­mer waren im Grun­de selb­stän­di­ge Unter­neh­mer. Sie arbei­te­ten auf eige­ne Rech­nung und waren frei, neben­her auch ande­ren Geschäf­ten nach­zu­ge­hen, was zu einer intrans­pa­ren­ten Ver­mischung pri­va­ter und öffent­li­cher Geschäf­te führ­te. Die­se soge­nann­ten finan­ciers hat­ten viel­fäl­ti­ge Mög­lich­kei­ten, sich zu berei­chern, aber sie tru­gen im Hof­ka­pi­ta­lis­mus auch ein unter­neh­me­ri­sches Risi­ko. Sie muss­ten die dem König gemach­ten Zusa­gen in jedem Fall erfül­len. Wur­den sie zah­lungs­un­fä­hig, gin­gen sie in Kon­kurs. Dem König ent­stand dadurch zwar ein finan­zi­el­ler Scha­den, aber der Kon­kurs war kein Kon­kurs des Königs­hau­ses, son­dern der Pri­vat­kon­kurs eines halb­priva­ten Amts­trä­gers. Erst wenn sich sol­che Kon­kur­se häuf­ten, häuf­ten sich auch die Zah­lungs­aus­fäl­le des Königs­hau­ses, und der Staats­bank­rott liess sich nicht mehr verbergen.

Das fran­zö­si­sche König­reich kann­te auch kei­ne staat­li­che Bank nach dem Vor­bild der 1694 gegrün­de­ten Bank of Eng­land, die die Liqui­di­tät des Staa­tes hät­te sichern kön­nen. Es war auf die kurz­fris­ti­gen Kre­di­te der finan­ciers ange­wie­sen, deren künf­ti­ge Steu­er­ein­nah­men dadurch schon auf Jah­re hin­aus belehnt waren. Die Schuld­pa­pie­re der Steu­er­päch­ter zir­ku­lier­ten im König­reich als eine Art Papiergeld.

Die­se kurz­fris­ti­gen Kre­di­te konn­ten nicht belie­big ver­län­gert, geschwei­ge denn belie­big aus­ge­wei­tet wer­den. Als sich in der zwei­ten Hälf­te der 1780er Jah­re die Kon­junk­tur ver­schlech­ter­te und sowohl die von den Steu­er­päch­tern ein­ge­sam­mel­ten Steu­er­gel­der zurück­gin­gen als auch ihre pri­va­ten Geschäf­te lit­ten, brach das Ver­trau­en in ihre Kre­dit­pa­pie­re ein. 1787 mach­ten meh­re­re nam­haf­te finan­ciers Kon­kurs, was sich rasch zu einer Finanz­kri­se des Königs­hau­ses aus­wuchs. Das König­reich konn­te sei­ne Ver­pflich­tun­gen nicht mehr voll­stän­dig erfül­len, und fäl­li­ge Ren­ten­zah­lun­gen muss­ten teil­wei­se auf­ge­scho­ben wer­den. 1788 akzen­tuierte sich die Finanz­kri­se nochmals.

Alle, die sich im Anci­en Régime um eine Finanz­re­form bemüht hat­ten, ziel­ten auf eine Reform des Steu­er­we­sens und for­der­ten, dass die Schich­ten und Stän­de künf­tig ein­heit­li­cher und gerech­ter besteu­ert wer­den soll­ten. Necker woll­te ins­be­son­de­re auch das intrans­pa­ren­te Sys­tem der Steu­er­päch­ter und Steu­er­ein­neh­mer abschaf­fen und es durch eine direkt dem König unter­stell­te Steu­er­ver­wal­tung ersetzen.

Ers­te Schrit­te in die­se Rich­tung wur­den zwar unter­nom­men, nach Neckers Ent­las­sung 1781 aber zu einem gros­sen Teil rück­gän­gig ­gemacht. So blieb der Reform­druck hoch. Es war klar, dass Refor­men die Struk­tur des König­reichs betref­fen muss­ten, da es auf ande­re Wei­se nicht mehr saniert wer­den konn­te. Das drück­te auch ­Calon­ne in sei­nem Memo­ran­dum vom August 1786 aus. «Ich wer­de ohne Mühe begreif­bar machen kön­nen», schrieb er, «dass es unmög­lich ist, mehr zu besteu­ern, rui­nös, sich wei­ter zu ver­schul­den.» Es rei­che auch nicht aus, sich auf wirt­schaft­li­che Refor­men zu beschrän­ken, die übli­chen Wege führ­ten nicht mehr zum Ziel. Das «ein­zi­ge wirk­sa­me Heil­mit­tel, der ein­zi­ge Ent­schluss, den man fas­sen kann, das ein­zi­ge Mit­tel, um wirk­lich Ord­nung in die Finan­zen zu brin­gen», bestehe dar­in, «den gesam­ten Staat wie­der­zu­be­le­ben durch die Erneue­rung von allem, was es an Schlech­tem in sei­ner Ver­fas­sung gibt».

Calon­ne woll­te die Steu­er­pri­vi­le­gi­en von Adel und Kle­rus abschaf­fen und eine neue all­gemeine Steu­er auf den Grund­be­sitz erhe­ben. Dass zusätz­lich auch poli­ti­sche Refor­men nötig waren, war sowohl dem König als auch Calon­ne bewusst, aber sie woll­ten den Abso­lu­tis­mus und die Prä­ro­ga­ti­ven des Königs nicht infra­ge stel­len. Calon­ne sah vor, dass die Ver­mö­gen­den des Reichs Ver­samm­lun­gen wähl­ten, die den König bei der Ver­wal­tung des Lan­des kon­sul­ta­tiv beglei­ten soll­ten. Damit hät­te man eine etwas re­prä­sen­ta­ti­vere Insti­tu­ti­on geschaf­fen, jedoch nur mit bera­ten­der Funk­ti­on und ohne Entscheidungskompetenz.

Dage­gen oppo­nier­ten die par­le­ments, die die abso­lu­tis­ti­schen Kom­pe­ten­zen des Königs ent­schie­de­ner ein­schrän­ken woll­ten. Man darf sich von ihrem Namen nicht fehl­lei­ten las­sen – die par­le­ments waren kei­ne Legis­la­ti­ve im heu­ti­gen Sinn und schon gar kei­ne Volks­ver­tre­tung. Die zwölf par­le­ments des König­reichs, die zur Zeit der Revo­lu­ti­on exis­tier­ten, waren die obers­ten Gerichts­hö­fe; ihre Mit­glie­der, die magis­trats, hat­ten ihr ver­erb­ba­res Amt wie die Steu­er­päch­ter gekauft. Die Ämter waren begehrt, der Auf­stieg in die Rei­hen der magis­trats bedeu­te­te in der Regel auch den Erwerb eines Adels­ti­tels mit allen damit ver­bun­de­nen Pri­vi­le­gi­en, ein­schliess­lich der Befrei­ung von einem Teil der Steu­ern. Die magis­trats waren ein wich­ti­ger Teil des Amtsadels.

Die par­le­ments, zuvor­derst jenes von Paris, muss­ten die gesetz­ge­be­ri­schen Edik­te des Kö­nigs regis­trie­ren, die erst damit rechts­gül­tig wur­den. Ver­wei­ger­ten sie die Regis­trie­rung, konn­te sich der König zwar dar­über hin­weg­set­zen: Er berief eine Sit­zung des par­le­ment von Paris unter sei­nem Vor­sitz ein und setz­te das Edikt durch sein Wort zwangs­wei­se in Kraft. Im Zeit­al­ter von Lou­is XVI wur­de das aber zuneh­mend als inak­zep­ta­bel ange­se­hen, gar als Aus­druck des­po­ti­scher Will­kür­herr­schaft. Die Pra­xis stand der Idee der Gewal­ten­tei­lung ent­ge­gen, die der Schrift­stel­ler und Früh­auf­klä­rer Baron de Mon­tes­quieu in sei­nem 1748 erschie­ne­nen Werk De l’esprit des lois (Vom Geist der Geset­ze) pro­pa­giert hat­te. «Es gibt fer­ner kei­ne Frei­heit», heisst es dar­in, «wenn die rich­ter­li­che Gewalt nicht von der gesetz­ge­ben­den und voll­zie­hen­den Gewalt getrennt ist.»

Dass sich die par­le­ments die Rol­le der Oppo­si­ti­on gegen den Abso­lu­tis­mus gaben, traf sich mit den Inter­es­sen des alten Hoch­adels: Die Adli­gen sahen ihre Teil­ha­be an der Macht durch den König eben­falls beschnit­ten und hoff­ten, die­se durch eine «par­la­men­ta­ri­sche» Mon­ar­chie wie­der­zu­er­lan­gen. Sowohl die par­le­ments wie auch der Hoch­adel waren der Mei­nung, dass nur die Gene­ral­stän­de weit­rei­chen­de poli­ti­sche Refor­men ver­ab­schie­den konn­ten. Die Gene­ral­stän­de wür­den, so stell­ten sie sich vor, künf­tig als stän­di­ge Insti­tu­ti­on den König kon­trol­lie­ren. Die Revo­lu­ti­ons­his­to­ri­ker Fran­çois Furet und Denis Richet stell­ten tref­fend fest, dass der libe­ra­le Flü­gel des Hoch­adels so zum «Zau­ber­lehr­ling der bür­ger­li­chen Revo­lu­ti­on» wur­de – von der er am Ende selbst hin­weg­ge­fegt wer­den sollte.

Der König aller­dings sah bereits im öffent­li­chen Druck, die Gene­ral­stän­de ein­zu­be­ru­fen, eine Bedro­hung sei­ner Vor­rech­te; er und Calon­ne ver­such­ten die­se Ein­be­ru­fung um jeden Preis zu ver­mei­den. Sie hoff­ten, von einer Ver­samm­lung hand­ver­le­se­ner Nota­beln, die der König selbst ernann­te und die rein kon­sul­ta­ti­ve Kom­pe­ten­zen hat­ten, Rücken­de­ckung zu erhal­ten für die vor­ge­schla­ge­nen Finanz­re­for­men. Anschlies­send wür­den sie durch die par­le­ments geboxt, damit sie Rechts­kraft bekä­men; wei­te­re poli­ti­sche Zuge­ständ­nis­se woll­te der König nicht machen. Der Ver­such miss­lang. Im Febru­ar 1787 tra­ten die ­Nota­blen zwar zusam­men, die Ver­samm­lung lehn­te die vor­ge­schla­ge­nen Refor­men jedoch ab. Auf ihren Druck hin ent­liess der König im April 1787 Calon­ne und lös­te im Monat dar­auf auch die eben erst geschaf­fe­ne Ver­samm­lung der Nota­beln wie­der auf.

Nun gin­gen die par­le­ments, allen vor­an jenes von Paris, in offe­ne Oppo­si­ti­on zum König. Sie hat­ten die brei­te Bevöl­ke­rung hin­ter sich – aller­dings nicht lan­ge, denn auch die par­le­ments woll­ten ihre tra­di­tio­nel­len Pri­vi­le­gi­en ver­tei­di­gen, wäh­rend nach der öffent­li­chen Mei­nung tief­grei­fen­de Refor­men nötig waren. Immer brei­te­re gesell­schaft­li­che Schich­ten hat­ten die Theo­rien der Auf­klä­rung gele­sen; in den Salons, in den Kaf­fee­häu­sern und auf den Stras­sen zir­ku­lier­ten unzäh­li­ge poli­ti­sche Pam­phle­te, immer dezi­dier­ter ver­lang­ten die Bür­ger – der Drit­te Stand – eine poli­ti­sche Vertretung.

Als das König­reich sei­ne finan­zi­el­len Ver­pflich­tun­gen 1787 nicht mehr voll­stän­dig erfül­len konn­te, ver­stärk­te das den Hand­lungs­druck. König und Hof ver­such­ten zwar wei­ter­hin, die Ein­be­ru­fung der Gene­ral­stän­de zu ver­hin­dern, dann jedoch brach­ten die kata­stro­pha­len Wit­terungsverhältnisse und die Miss­ern­te des Jah­res 1788 die Lage zum Kip­pen: Die Steu­er­ein­nah­men bra­chen ein, die Finanz­kri­se spitz­te sich zu. Im August 1788 wur­de das König­reich zah­lungs­un­fä­hig, wäh­rend das Land gleich­zei­tig von Hun­ger­re­vol­ten über­zo­gen wurde.

Der fak­ti­sche Staats­bank­rott, die Unmög­lich­keit, neue Kre­dit­quel­len zu erschlies­sen, der wach­sen­de Druck der Öffent­lich­keit – das war der Hin­ter­grund, vor dem der König im August 1788 der Ein­be­ru­fung der Gene­ral­stän­de schliess­lich zustimm­te. Zugleich sah er sich gezwun­gen, Jac­ques Necker zurück­zu­ho­len und erneut zum Finanz­mi­nis­ter zu ernen­nen: Er war zum Hoff­nungs­trä­ger gewor­den, der das Pro­blem des Staats­de­fi­zits lösen, die wirt­schaft­li­che Not lin­dern und zusam­men mit den Gene­ral­stän­den Refor­men auf den Weg brin­gen sollte.

Im Dezem­ber 1788 erliess der König das Dekret zur Ein­be­ru­fung der Gene­ral­stän­de, ab Janu­ar 1789 wur­den die Dele­gier­ten gewählt. Die Tra­di­tio­na­lis­ten for­der­ten eine Ver­samm­lung nach dem Modus von 1614: Jeder Stand soll­te die glei­che Zahl an Dele­gier­ten ent­sen­den, bei Ent­schei­den soll­te jeder Stand nur eine Stim­me haben. Adel und Kle­rus hät­ten damit den Drit­ten Stand, der 98 Pro­zent der Bevöl­ke­rung umfass­te, jeder­zeit über­stim­men kön­nen. Es erstaunt nicht, dass der Ruf nach Refor­men auch die­sen Modus betraf. Auf Emp­feh­lung Neckers akzep­tier­te der König eine Ver­dop­pe­lung der Dele­gier­ten des Drit­ten Stan­des, wobei bis zur Eröff­nung der ­Ver­samm­lung offen­blieb, ob die Abstim­mun­gen nach Köp­fen erfol­gen soll­ten oder ob mit einer Stim­me pro Stand abge­stimmt würde.

Am 5. Mai 1789 tra­ten die Gene­ral­stän­de end­lich zusam­men, mit gesamt­haft rund 1200 Dele­gier­ten (zur Zahl der effek­tiv Anwe­sen­den gibt es unter­schied­li­che Anga­ben). Nach einer kur­zen Begrüs­sung durch den König hielt Necker die eigent­li­che Eröff­nungs­re­de. Sie dau­er­te mehr als zwei Stun­den und wur­de mehr­heit­lich von einem Spre­cher vor­ge­le­sen, da Necker kein guter Red­ner war.

Die Rede dreh­te sich wort­reich um die Bedeu­tung der Ver­samm­lung und die Reform­be­reit­schaft des König­reichs. Das letz­te Wort aber liess Necker dem König: Des­sen Erwar­tun­gen und Wil­le soll­ten sich in den Bera­tun­gen spie­geln. Sei­ne Majes­tät wer­de die Bera­tun­gen «gerecht beur­tei­len», so Necker. Wenn die Din­ge so sei­en, wie der König «erhofft und erwar­ten darf» und wie der «gesün­des­te Teil der Nati­on wünscht und for­dert», dann wer­de der König die Arbeit der Gene­ral­stän­de unter­stüt­zen und «sei­nen Ruhm ein­set­zen, um die­se zu krö­nen». Der «Ver­stand des bes­ten aller Fürs­ten» wer­de sich so ver­ei­nen mit dem «Ver­stand, der die treus­te aller Natio­nen inspiriert».

Die Reak­tio­nen fie­len nicht begeis­tert aus. Necker hat­te sei­ne Rede selbst­ver­ständ­lich mit dem König abstim­men müs­sen, er konn­te ohne des­sen Ein­ver­ständ­nis nichts in Aus­sicht stel­len. Den Reform­be­für­wor­tern fehl­ten folg­lich kon­kre­te Vor­schlä­ge. Den Reform­geg­nern gin­gen umge­kehrt selbst gering­fü­gi­ge poli­ti­sche Zuge­ständ­nis­se zu weit. Der König woll­te die Re­formen, die nötig waren, um die Staats­einkünf­te zu erhö­hen, so schnell wie mög­lich bewil­li­gen las­sen. Danach woll­te er die Gene­ral­stän­de umge­hend auf­lö­sen, um jeden Ver­such zu ver­hin­dern, sie zu einem blei­ben­den Gre­mi­um zu ­machen, einer Art fes­ter par­la­men­ta­ri­scher Versammlung.

Doch der Drit­te Stand war nicht mehr bereit, sich von den poli­ti­schen Ent­schei­dungs­pro­zes­sen aus­schlies­sen zu las­sen, die Bür­ger woll­ten eine Ver­tre­tung im Staat. Am 17. Juni beschlos­sen die Abge­ord­ne­ten des Drit­ten Stan­des, ver­stärkt von ers­ten Über­läu­fern aus dem Kle­rus, sich zur Natio­nal­ver­samm­lung zu kon­sti­tu­ie­ren – zur Reprä­sen­tan­tin des Vol­kes. Zwei Tage spä­ter beschloss der Kle­rus mit einer Mehr­heit der Stim­men, sich dem Drit­ten Stand anzu­schlies­sen. Die Dele­gier­ten des Kle­rus waren gröss­ten­teils arme Land­geist­li­che, die dem ein­fa­chen Volk näher stan­den als den hohen kirch­li­chen Amts­trä­gern. Am 20. Juni kam es zum «Ball­haus­schwur»: Die Abge­ord­ne­ten der Natio­nal­ver­samm­lung gelob­ten ein­an­der, sich nicht zu tren­nen, bevor sie dem Land eine Ver­fas­sung gege­ben hat­ten. Am 9. Juli erklär­ten sich die mitt­ler­wei­le ver­ei­nig­ten Dele­gier­ten aller drei Stän­de zur ver­fas­sungs­ge­ben­den Ver­samm­lung. Der Abstim­mungs­mo­dus, der zu Beginn noch offen gewe­sen war, stand nun fest: Jede Stim­me zählte.

Unter­des­sen war die revo­lu­tio­nä­re Stim­mung im gan­zen Land gewach­sen, über­all brach­ten Unru­hen die öffent­li­che Ord­nung ins Wan­ken. Der König und sei­ne Entou­ra­ge fürch­te­ten, die Kon­trol­le zu ver­lie­ren. Kon­ser­va­ti­ve Krei­se ver­such­ten, beim Hof jene Per­son anzu­schwär­zen, die sie mit den Refor­men iden­ti­fi­zier­ten: Jac­ques Necker. Der König gab ihnen nach, am 11. Juli 1789 wur­de Necker ent­las­sen und auf­ge­for­dert, das König­reich zu verlassen.

Die Nach­richt, die sich am Tag dar­auf in Paris ver­brei­te­te, erhitz­te die Gemü­ter, vie­le inter­pre­tier­ten Neckers Abset­zung als Absa­ge an die Refor­men. Man fürch­te­te, der König wer­de ver­su­chen, die Natio­nal­ver­samm­lung auf­zu­lö­sen. Als der König Trup­pen zusam­men­zog, um den Auf­ruhr in Paris zu bre­chen, ver­such­te sich die Bevöl­ke­rung zu bewaff­nen, um sich und die Natio­nal­ver­samm­lung zu schüt­zen. Am 14. Juli 1789 kam es zur ers­ten gros­sen bewaff­ne­ten Akti­on gegen die Mon­ar­chie: zum Sturm auf die Bas­til­le. Die Stadt­fes­tung, die damals als Staats­ge­fäng­nis genutzt wur­de, stand sym­bo­lisch für die des­po­ti­sche Macht des Königs, vor allem aber wur­den dort Waf­fen gela­gert, die man zu erbeu­ten hoff­te. Weil der Kom­man­dant der Bas­til­le den Schiess­be­fehl gab, star­ben gegen hun­dert Men­schen. Es ist das Ereig­nis, das heu­te als Start­schuss der Revo­lu­ti­on betrach­tet wird.

So nahm die Revo­lu­ti­on ihren Lauf. Er führ­te zur Hin­rich­tung des Königs, zur Abschaf­fung der alten Pri­vi­le­gi­en und Stän­de, zur Erklä­rung der all­ge­mei­nen Men­schen­rech­te und schliess­lich zu einer Repu­blik. Auch die Herr­schaft Napo­le­ons nach dem Staats­streich von 1799 und die Restau­ra­ti­on des König­tums nach 1815 konn­ten das Rad der Zeit nicht mehr zurück­dre­hen und die Errun­gen­schaf­ten der Revo­lu­ti­on nicht annul­lie­ren. Lang­fris­tig setz­ten sich die Idee der Demo­kra­tie und die Staats­form der Repu­blik durch – nicht nur in Frankreich.

Was aber geschah mit dem Staats­de­fi­zit? ­Sowohl die Natio­nal­ver­samm­lung als auch die Öffent­lich­keit waren der Mei­nung, dass der Staat die aus dem Anci­en Régime ererb­te Staats­schuld hono­rie­ren muss­te: Ein guter Staat erfül­le sei­ne finan­zi­el­len Ver­pflich­tun­gen, das unter­schei­de ihn gera­de von der Miss­wirt­schaft der Mon­ar­chie. Vie­le Bür­ger, dar­un­ter auch Mit­glie­der der Natio­nal­ver­samm­lung, waren ren­tiers und somit direkt betrof­fen vom Zah­lungs­wil­len und von der Zah­lungs­fä­hig­keit des repu­bli­ka­ni­schen Staats. Selbst unter der von Mit­te 1793 bis Mit­te 1794 dau­ern­den Schre­ckens­herr­schaft der Jako­bi­ner wur­den die alten Schul­den aner­kannt. Doch lang­fris­tig wur­de ein Schul­den­schnitt, und zwar ein dras­ti­scher, unum­gäng­lich. Er erfolg­te unter dem Direk­to­ri­um – der von 1795 bis zum Staats­streich Napo­le­ons im Novem­ber 1799 regie­ren­den fünf­köp­fi­gen Kol­le­gi­al­re­gie­rung. Im Sep­tem­ber 1797 kürz­te man die lang­fris­ti­gen Schul­den um zwei Drit­tel (la ban­que­r­ou­te des deux tiers).

Das Staats­de­fi­zit war nicht die tie­fe­re Ursa­che der Revo­lu­ti­on gewe­sen, wohl aber ein ent­schei­den­der Trei­ber. Das war auch den Revo­lu­tio­nä­ren ­bewusst. Der Jour­na­list und Revo­lutionsführer Camil­le Des­moulins bemerk­te iro­nisch: «Ô bien­heu­re­ux défi­cit, ô mon cher ­Ca­lonne – Oh glück­se­li­ges Defi­zit, oh mein lie­ber Calon­ne!» Hät­ten all die Finanz­mi­nis­ter ihre Refor­men umset­zen kön­nen und hät­te der Kö­nig einer par­la­men­ta­ri­schen Mon­ar­chie zuge­stimmt, wer weiss, ob es damals zur Revo­lu­ti­on gekom­men wäre. 


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