Die Euro-Tra­gö­die. Unter­mi­niert die Währungs­union die euro­päi­sche Einheit?


Ursprüng­lich erschie­nen auf der Online-Platt­form “Geschich­te der Gegen­wart am 28. April 2019

Bei der Geburt des Euro – er wur­de am 1. Janu­ar 1999 zuerst als Buch­wäh­rung einge­führt, bevor er drei Jah­re spä­ter, am 1. Janu­ar 2002, auch in Form von Mün­zen und Noten in Umlauf kam – waren die Hoff­nungen gross. Der Euro soll­te die wirt­schaft­liche Konver­genz zwi­schen den EU-Län­dern för­dern – das heisst natio­nale Wohl­stands­dif­fe­renzen tenden­ziell ausglei­chen – und über­dies die poli­ti­sche Inte­gra­tion der EU voran­treiben. Er soll­te, mit ande­ren Wor­ten, das Mit­tel sein, Euro­pa zu einen. Kein Wun­der, dass daher jede Kri­se des Euro stets auch als Bedro­hung der EU selbst emp­fun­den wur­de, so zuletzt anläss­lich des Kon­flikts um das italie­ni­sche Budget­de­fizit für das Jahr 2019. Den­noch scheint der Glau­be der euro­päi­schen Poli­tiker und wei­ter Tei­le der Öffent­lich­keit an den Euro unge­bro­chen. Wird der Euro also im Jahr 2022 eine gros­se Par­ty zum 20. Geburts­tag erhalten?

Folgt man Asho­ka Mody, Öko­nom und Autor des Buches Euro­tra­gedy. A Dra­ma in Nine Acts (Oxford Univer­sity Press, 2018), gibt es bis­her wenig Grund zum Fei­ern. Mody war frü­her beim Inter­na­tio­nalen Währungs­fonds IMF tätig und lehrt heu­te in Prince­ton; beim IMF war er Länder­ver­ant­wort­li­cher für Irland wäh­rend der Irland-Kri­se (d.h. einer der Län­der-Kri­sen im Gefol­ge der Finanz­krise). In sei­nem Buch beschreibt er die Geschich­te des Euro einge­bettet in die Geschich­te der EU, deren Kind die Idee einer gemein­samen Wäh­rung für Euro­pa war und ist. Auch wenn man eini­ge von Modys wirt­schafts­po­li­ti­schen Stel­lung­nahmen skep­tisch betrach­ten mag (zum Bei­spiel hält er die Arbeits­markt­re­formen der Regie­rung Schrö­der für irrele­vant für die posi­tive wirt­schaft­liche Entwick­lung Deutsch­lands in den Folge­jahren), so ist doch sei­ne Darstel­lung der Euro-Geschich­te kompe­tent und durch zahl­reiche Quel­len gut belegt.

Uner­füllte Hoffnungen

Vie­le nam­haf­te Öko­no­men äus­ser­ten sich vor der Schaf­fung des Euro skep­tisch zu dem Pro­jekt, da der Euro-Zone ihrer Mei­nung nach wesent­liche Voraus­set­zungen zu einem opti­malen Währungs­raum fehl­ten. Die ein­zel­nen Volks­wirt­schaften sei­en zu unter­schied­lich in ihrer Entwick­lung, als dass eine ein­zi­ge Währungs­po­litik für alle pas­send wäre; eine Währungs­po­litik für star­ke Län­der, so argu­men­tierten sie, müs­se notge­drungen die schwa­chen Län­der noch wei­ter schwä­chen, oder umge­kehrt. Denn in einer Währungs­union haben die ein­zel­nen Län­der kei­ne Möglich­keit mehr, eine eige­ne Währungs­po­litik zu gestal­ten und als Extrem­lö­sung z.B. ihre eige­ne Wäh­rung abzu­werten, um die Wett­be­werbs­fä­hig­keit der eige­nen Wirt­schaft wie­der zu verbes­sern. Eine Währungs­union erfor­dere, so die dama­ligen Ein­wän­de wei­ter, nebst einem einheit­li­chen Finanz­markt zwin­gend auch eine Fiskal­union, das heisst eine zen­tra­le Instanz mit eige­nem Bud­get und mit der Möglich­keit von Ausgleichs­zah­lungen an struk­tur­schwache Mitglieds­länder. Nun ist der Euro aber – vor allem auf Druck Deutsch­lands – gera­de mit der Auf­la­ge ent­stan­den, dass kei­ne derar­tigen Trans­fer­zah­lungen erfol­gen dür­fen und es kei­ne Beistands­pflicht gegen­über ande­ren Mitglie­dern gibt („no bail-out“). Die als Ersatz vorge­se­hene Verpflich­tung aller Euro-Län­der auf Konver­genz­kri­te­rien (z.B. die Einhal­tung von Haus­halts­dis­zi­plin) ist nicht durch­setzbar, wie die Erfah­rung zeigt, da es an glaub­wür­digen Sank­ti­ons­me­cha­nismen fehlt.

Die­se war­nen­den Gegen­stimmen igno­rierte man: Letzt­lich wur­de der Euro pri­mär aus poli­ti­schen Grün­den und aus poli­ti­schem Wil­len geschaf­fen. Nicht zuletzt die fran­zö­si­sche Regie­rung unter Fran­çois Mitte­rand hat­te sei­ne Einfüh­rung als Mit­tel zur poli­ti­schen „Einbin­dung“ des wieder­ver­ei­nigten Deutsch­lands gese­hen und vorangetrieben.

Der Euro wur­de, wie gesagt, mit dem Verspre­chen geschaf­fen, dass er die wirt­schaft­liche Konver­genz zwi­schen den Län­dern der EU för­dern und damit zugleich deren immer grös­sere poli­ti­sche Inte­gra­tion voran­treiben wer­de. In bei­den Hin­sich­ten betrach­tet Mody den Euro jedoch als geschei­tert. Die schon vor der Grün­dung des Euro bestehen­den Diver­genzen zwi­schen den Volks­wirt­schaften hat der Euro nicht nur fort­ge­schrieben, son­dern sogar ver­stärkt. Und auch poli­tisch ist Euro­pa seit der Schaf­fung des Euro immer wei­ter ausein­an­der­ge­driftet, nicht zuletzt im Gefol­ge der zuneh­menden wirt­schaft­li­chen Diver­genz. Ent­ge­gen den Hoff­nungen bei sei­ner Einfüh­rung erwies sich der Euro nach Mody als ein wich­tiger Kata­ly­sator für bei­de Diver­genzen, die wirt­schaft­liche wie die politische.

Die Finanz­krise von 2008 und die Austeritätspolitik

Mody ist nicht nur insge­samt skep­tisch in Bezug auf den Euro, son­dern insbe­son­dere auch sehr kri­tisch gegen­über der Art und Wei­se, wie die EU, die Euro-Grup­pe (d.h. die Euro-Zonen-Län­der) sowie die Euro­päi­sche Zentral­bank (EZB) die Finanz­krise des Jah­res 2008 bewäl­tigt haben. Sei­ne Kri­tik betrifft unter ande­rem das Man­dat der EZB, die allein auf die Währungs­sta­bi­lität ver­pflich­tet ist und nicht wie nament­lich das ameri­ka­ni­sche Fede­ral Reser­ve Sys­tem (Fed) auch auf die Beschäftigungslage.

Auf­grund die­ses restrik­tiven Man­dats habe die EZB im Lau­fe der Finanz­krise, anders als das Fed, lan­ge eine infla­ti­ons­ori­en­tierte Inter­ven­ti­ons­po­litik gefah­ren, wäh­rend das Pro­blem längst nicht mehr eines der Währungs­sta­bi­lität gewe­sen sei, son­dern das einer defla­tio­nären Rezes­sion, die wei­te Tei­le Euro­pas lang­fristig geschä­digt habe. Im Ver­gleich zum Fed habe die EZB immer „too litt­le, too late“ gehan­delt, dadurch die Rezes­sion in Euro­pa ver­schärft und verlän­gert – und den betrof­fenen Län­dern so einen nach­hal­tigen Scha­den zuge­fügt. Die EZB-Poli­tik tra­ge eine wesent­liche Mit­schuld an der Wachs­tums­schwäche Euro­pas. Auch die Län­der des EU-Nor­dens, die unter der Finanz­krise weni­ger und weni­ger lang lit­ten, haben sich gemäss Mody unter dem Niveau ihres Poten­zials entwi­ckelt, ver­schärft gilt dies jedoch vor allem für die Län­der des euro­päi­schen Südens.

Die Wachs­tums­schwäche entwi­ckelter Indus­trie­staaten ist ein Phä­no­men, das auch Län­der ausser­halb des Euro ken­nen und das von Öko­no­men auch unab­hängig vom Euro disku­tiert wird. Man mag des­halb Vorbe­halte haben, die Wachs­tums­schwäche der Euro-Län­der allein auf den Euro zurück­zu­führen. Gegen ande­re Aspek­te von Modys Kri­tik jedoch kann man weni­ge Ein­wän­de vor­brin­gen. Vor allem bleibt wahr, dass der Euro eine Rei­he von Konstruk­ti­ons­män­geln auf­weist, von denen man nicht erken­nen kann, wie sie in abseh­barer Zeit geän­dert wer­den sol­len. Die­se Schwach­stellen zeig­ten sich exem­pla­risch in der Finanz­krise und ihren Fol­gen, insbe­son­dere in der Grie­chen­land-Kri­se, wo das Prin­zip des „no bail out“ über den Hau­fen gewor­fen wur­de. Para­do­xer­weise muss­te sogar der IMF ein­sprin­gen, obwohl die Verschul­dung Grie­chen­lands ja ein inter­nes Pro­blem der Euro-Zone war, wäh­rend der IMF eigent­lich für Zah­lungs­bi­lanz-Schwie­rig­kei­ten einer Gesamt-Wäh­rungs­zo­ne zustän­dig ist – der Bank­rott eines Teil­staats der USA etwa wür­de den IMF nicht zum Han­deln motivieren.

Die Verfeh­lungen Grie­chen­lands (dar­un­ter auch die kru­de Fäl­schung von Statis­tiken) vor der Kri­se sol­len nicht vernied­licht wer­den, aber die Vermei­dung eines Staats­bank­rotts war dann de fac­to pri­mär eine Ret­tung der Gläu­biger (dar­un­ter auch deut­sche und fran­zö­si­sche Ban­ken, die gera­de erst aus der Finanz­krise heraus­ge­funden hat­ten und noch nicht auf den soli­desten Bei­nen stan­den), wäh­rend die grie­chi­sche Bevöl­ke­rung die Fol­gen einer har­ten Austeri­täts­po­litik tra­gen muss­te und die Staats­schuld des Lan­des durch die Rettungs­ak­tionen gleich­zeitig in astro­no­mi­sche Höhen wuchs. Mit stets neu­en Rettungs­pa­keten wur­den Grie­chen­land immer neue Kre­di­te zuge­spro­chen, deren Trag­bar­keit durch nied­rige Zin­sen und über­lange Rück­zah­lungs­fristen, das Gan­ze garan­tiert durch die ande­ren Euro-Län­der, ange­strebt wur­de – alles, um zu ver­mei­den, dass im Euro-Raum ein souve­räner Staat zahlungs­un­fähig wird. Um Geld­geber zu ret­ten, die das Risi­ko hät­ten ein­schät­zen müs­sen und hät­ten wis­sen müs­sen, was sie tun: Damit schafft man, was im Fach­jargon «moral hazard» genannt wird – eine Anstif­tung zu wei­te­rem risi­ko­rei­chem Ver­hal­ten, im Ver­trau­en dar­auf, dass einem schon jemand raushaut.

Zwar gab es in der Fol­ge für Grie­chen­land einen begrenz­ten Schul­den­schnitt, aber wie­der „too litt­le, too late“. Mit einem Schul­den­schnitt gleich zu Beginn hät­te Grie­chen­land schnel­ler aus der tie­fen Rezes­sion kom­men und wie­der Boden unter den Füs­sen fas­sen kön­nen, ohne eine Staats­schuld vor sich her zu schie­ben, die nach mensch­li­chem Ermes­sen nie­mals abge­tragen wer­den kann. Schmerz­hafte Spar­mass­nahmen beim aufge­blähten Staats­ap­parat wären auch bei einem raschen Schul­den­schnitt unver­meid­lich gewe­sen, aber immer­hin wäre ein frü­he­rer Aus­gang aus dem Jam­mer­tal mög­lich gewe­sen, wäh­rend das Land nun als Fol­ge der ver­fehl­ten Hand­ha­bung der Grie­chen­land-Kri­se in einem anhal­tenden „slump“ steckt.

Gibt es ein Ende des Euro?

Wenn der Euro eine Fehl­kon­struk­tion ist, wie Mody behaup­tet, so stellt sich die Fra­ge, ob er damit auto­ma­tisch zum Schei­tern verur­teilt ist. Und wie sich die­ses Schei­tern gege­be­nen­falls äus­sern wür­de. Durch einen Aus­tritt ein­zel­ner Län­der? Durch eine Kri­se, ausge­löst durch die Schwie­rig­keiten zum Bei­spiel eines Lan­des wie Ita­li­en, des­sen Ret­tung die Möglich­keiten der Finan­zie­rungs-Fazi­li­tä­ten, wel­che die EU für einen sol­chen Not­fall geschaf­fen hat, vermut­lich über­steigen wür­de? Und wie wür­de eine sol­che Kri­se verlaufen?

Gemäss Mody kann die nega­tive Wir­kung des Euro auch in einer Form erfol­gen, die nicht als aku­te Kri­se daher­kommt, son­dern als schlei­chender ökono­mi­scher Nieder­gang, an den man sich sukzes­sive gewöhnt. So erle­ben es gewis­se Län­der im Süden, wo Infra­struktur und Lebens­ni­veau lang­sam zer­fal­len, mit blei­benden gesell­schaft­li­chen Schä­den – ein Dauer-„slump“, in dem es schwie­rig ist, je wie­der einen wirk­li­chen Auf­schwung zu bewirken.

Als Aus­weg plä­diert Mody offen für eine Auflö­sung des Euro bzw. für einen Aus­tritt ein­zel­ner Län­der, wobei er vor­schlägt, dass nicht Ita­li­en oder ande­re schwa­che Län­der aus­tre­ten soll­ten, son­dern Deutsch­land, da es sich dies leis­ten kön­ne. Sei­ne Wäh­rung wür­de sofort aufge­wertet, womit es dem Land leicht­fallen wür­de, die in Euro deno­mi­nierten Verbind­lich­keiten zu beglei­chen. Län­der wie Ita­li­en hin­ge­gen wür­den bei ihrem Aus­tritt eine sofor­tige Entwer­tung ihrer Wäh­rung erle­ben, was die Rück­zah­lung ihrer Verbind­lich­keiten in Euro ver­teu­ern wür­de, über jede Trag­bar­keit hinaus.

Ist eine geord­nete Auflö­sung des Euro denk­bar? Kaum – es ist undenk­bar, dass die EU einen sol­chen Ent­scheid frei­willig fäl­len wür­de. Die prak­ti­schen Pro­ble­me wären immens und anspruchs­voll. Nicht zuletzt: Was soll­te dann z.B. aus jenen Euro wer­den, die rund 20% der welt­weiten Währungs­re­serven ausma­chen? Der Euro ist die wich­tigste Reser­ve­wäh­rung nach dem Dol­lar (nach einem Zer­fall des Euro wür­de an sei­ner Stel­le wohl die neue deut­sche Mark eine wich­tige Rol­le als Reser­ve­wäh­rung ein­neh­men – womit die fran­zö­si­sche Hoff­nung auf eine Einbin­dung Deutsch­lands defi­nitiv wie­der bei Null ange­langt wäre). Viel wahr­schein­li­cher ist, dass der Euro wei­ter bestehen wird und dass die durch ihn geschaf­fenen wirt­schaft­li­chen und poli­ti­schen Pro­ble­me Euro­pa wei­ter beschäf­tigen werden.

Der Euro als Sym­ptom einer poli­ti­schen Dauerkrise

Mody kriti­siert, dass die EU bei jedem neu­en Pro­blem des Euro stets eine Stra­tegie des «fal­ling for­ward» ver­folgt habe, d.h. auftau­chende Pro­ble­me mit wei­ter ver­stärk­ten Mass­nahmen zur Inte­gra­tion gelöst habe, was jedoch die Pro­ble­me nur immer grös­ser gemacht habe. Tatsäch­lich wur­den immer umfas­sen­dere Finan­zie­rungs­fa­zi­li­täten geschaf­fen, die bald wie ein Par­al­lel-Instru­men­ta­ri­um zum IMF erschei­nen – obwohl es frag­lich ist, ob deren „Feuer­kraft“ im Fal­le einer erneu­ten grös­seren Kri­se (zum Bei­spiel eines Lan­des wie Ita­li­en) ausrei­chen wür­de. Ein wesent­li­ches Pro­blem die­ser Stra­tegie stellt Mody zufol­ge die man­geln­de demo­kra­ti­sche Legi­ti­mität dar. Mody kriti­siert, dass alle Ent­schei­de zur Vorwärts­stra­tegie für den Euro stets von Insti­tu­tionen (EZB, EU-Kom­mis­si­on, Euro-Grup­pe, usw.) gefällt wur­den, die kei­ner demo­kra­ti­schen „accoun­ta­bi­lity“ (im Sin­ne der direk­ten Dele­ga­tion und Kon­trol­le ihrer Macht durch ein Parla­ment) unter­liegen und die daher über kei­ne ech­te demo­kra­ti­sche Legi­ti­mität ver­fü­gen. Wo immer die Bevöl­ke­rung selbst gefragt wor­den sei, sei sie mit weni­gen Aus­nah­men stets gegen eine wei­te­re Vertie­fung der EU und des Euro gewe­sen (in den meis­ten Län­dern wur­de die Bevöl­ke­rung sowie­so nie gefragt). Mody glaubt daher auch nicht dar­an, dass die Währungs­union durch eine ech­te Fiskal­union ergänzt wer­den kön­ne, da die poli­ti­schen Wider­stände dage­gen zu gross seien.

Der Streit um den Euro ist somit – so könn­te man Modys Aus­sa­ge zuspit­zen – ein Kon­flikt zwi­schen den Befür­wor­tern einer wei­te­ren Verge­mein­schaf­tung (die ohne direk­tes demo­kra­tisch-par­la­men­ta­ri­sches Man­dat ope­rie­ren) und den Vertei­di­gern der natio­nalen Souve­rä­nität (die hin­ge­gen die unmit­telbar vom Stimm­volk ausge­hende demo­kra­ti­sche Legi­ti­mität für sich haben). Die­ser Kon­flikt wird für den Euro-Raum, aber auch für die EU und Euro­pa insge­samt, wei­te­re Zerreiss­proben mit sich brin­gen. Die poli­ti­schen Fron­ten sind dabei alles ande­re als klar. Bis­her schien es zwar so, dass jene, die sich auf die natio­nale Souve­rä­nität beru­fen, eher die Poli­tiker der Rech­ten sind, mit ande­ren Wor­ten: Popu­listen, die an den Funda­menten des demo­kra­ti­schen Euro­pa sägen. Aber es ist bei­lei­be nicht nur aus der Perspek­tive der Rech­ten erkenn­bar, dass die EU und der Euro ein Demo­kra­tie-Defi­zit haben. Auch aus libe­raler und lin­ker Sicht kön­nen berech­tigte Argu­mente vorge­bracht werden.

Es spricht eini­ges dafür, nicht jedes Hoch­halten natio­naler Souve­rä­nität umge­hend als reak­tio­nären Popu­lismus zu brand­marken. Gera­de als Schwei­zer hat man Ver­ständ­nis für die Sou­ve­rä­ni­täts-Ansprü­che der Mit­glie­der einer Konfö­de­ra­tion (in unse­rem Fall der Kan­to­ne). In der EU, die als Staa­ten­ver­bund de fac­to noch weit föde­raler orga­ni­siert ist als die Schweiz, ist die Souve­rä­nität der Mit­glie­der noch viel mehr eine nicht negier­bare Tat­sa­che, mit der poli­tisch zu rech­nen und die zu respek­tieren ist. Ein so verstan­dener Föde­ra­lismus kann auch bele­bend sein. Auch auf der Ebe­ne von Natio­nal­staaten zeigt sich viel­fach, dass der Föde­ra­lismus indi­vi­du­elle Frei­heiten und Rech­te bes­ser schützt als man­cher Zentral­staat. Und schliess­lich kann Föde­ra­lismus auch pro­gres­siv sein – man sehe sich nur die USA an, wo ein­zel­ne Glied­staaten wei­ter vor­wärts machen wol­len in der Klima­po­litik oder wo ein­zel­ne Glied­staaten und Städ­te die Immi­gra­ti­ons­po­litik der Zentral­re­gie­rung zu unter­laufen oder zumin­dest zu mil­dern suchen.

Kurz­um: Die Weiter­ent­wick­lung des Euro – und der EU insge­samt – müss­te unter einer sol­chen Perspek­tive neu durch­dacht wer­den. Anstatt eines ste­ten „fal­ling for­ward“ braucht es viel­leicht auch ein­mal ein Anhal­ten oder sogar einen Schritt zurück, um das Ziel der euro­päi­schen Eini­gung zu errei­chen. Die­ses Ziel aber soll­te man nicht zuletzt aus geostra­te­gi­schen Grün­den nicht aus den Augen ver­lie­ren, denn es ist wich­tiger als der Euro. Viel­leicht müss­te man den Euro opfern, um Euro­pa zu ret­ten? Aller Wahr­schein­lich­keit nach wird die EU trotz allem an dem Euro fest­halten. Ob sie jedoch eine über­ge­ord­nete – und poli­tisch durch­setz­bare – Stra­tegie hat, wie die dar­aus hervor­ge­henden und auch in Zukunft zu erwar­tenden Kon­flik­te gelöst wer­den sol­len, ist anzuzweifeln.

Der Euro bleibt auf jeden Fall eine „affai­re à suivre“.

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